MIGRATIONSFORSCHERIN KELEK

"Familiennachzug fördert Parallelgesellschaften"

Die Migrationsforscherin und Soziologin Necla Kelek warnt die SPD vehement davor, den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige wieder zuzulassen. Kelek ist der Meinung, dass dadurch Parallelgesellschaften gefördert werden.

Kritik an deutscher Flüchtlingspolitik

Der Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel hat die deutsche Flüchtlingspolitik in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als Irrweg bezeichnet.

Die SPD fordert für eine GroKo den Familiennachzug. Doch dieser sei ein völlig falsche Weg, sagt Soziologin Kelek. Die Muslimin kritisiert aber auch Merkels Flüchtlingspolitik scharf.

Die Migrationsforscherin und Soziologin Necla Kelek warnt die SPD vehement davor, den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige wieder zuzulassen. "Der Familiennachzug fördert gerade Parallelgesellschaften und sendet zudem das falsche Signal an Menschen in ihren Heimatländern", sagte Kelek der WELT.

Lieber sollte es keine große Koalition geben, als eine, die unter einem solchen Zugeständnis zustande kommt. SPD-Vize Ralf Stegner hatte zuvor betont: Alle, die mit der SPD reden, müssten wissen, dass der Familiennachzug zu den "humanitären Verpflichtungen" gehöre, bei denen es keine Abstriche geben werde.

Die türkischstämmige Kelek kritisiert das Beharren der linken Parteien auf den Familiennachzug. Ohne ihn sei Integration sinnlos, werde argumentiert. "Das Gegenteil ist der Fall. Familie heißt in orientalisch-muslimischen Gesellschaften die Großfamilie, die Sippe, die patriarchalisch organisiert ist. Mit dem Familiennachzug importieren wir ein islamisches Familiensystem, das erst zu Parallelgesellschaften und Integrationsproblemen führt", sagt sie. "Niemand braucht sich mehr anzupassen, man kann unter sich bleiben und Traditionen wie die Kinderehe, Frauenunterdrückung oder Gebärzwang weiterleben."

"Nur ein Türöffner"

Sie erzählt die Geschichte eines Syrers, der mit 14 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen sei. Der Junge sei von einer Pflegefamilie aufgenommen worden, habe schnell gelernt und sei gut in der Schule gewesen. "Doch für seine Familie war er nur ein Türöffner, ein Türöffner zu Wohlstand", so Kelek. Wie vom Vater verlangt, holte er seine Familie nach. "Wie auch immer das gesetzlich möglich war." 13 Familienmitglieder kamen, Vater, Mutter, Geschwister und eine Tante. "In der Schule war er seitdem kaum noch, seine Leistungen wurden schlecht. Er hat die Chance verpasst, vielleicht Abitur zu machen und als Individuum seinen eigenen Weg zu gehen", so Kelek.

Mit der Familie werde auch das Wertesystem importiert, so die Soziologin. Dies sei im Islam das System der Herrschaft der Männer. Die Ehefrau sei keine Lebenspartnerin, sondern eine Sexualpartnerin. Mädchen würden früh verheiratet und wären bereits als Kinder Mütter. "Ich arbeite an einem Projekt mit Flüchtlingen und erlebe es dort", sagt Kelek.

Wer es nach Deutschland geschafft habe, könne und solle natürlich Unterstützung bekommen, sagt sie. Viele Kinder würden jedoch nur als ebenjener Türöffner nach Deutschland geschickt. Die Großfamilie organisiere das Geld für die Flucht, in der Hoffnung, dass sie nachgeholt werde. "Es ist nicht rechtens, wen wir hier alles unter Asylschutz stellen", so Kelek.

Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik

Kelek, selbst Muslimin, greift auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf an. "Es geht beim Familiennachzug nicht um die 60.000 bis 70.000, von denen in den Medien gesprochen wird. Es geht um die Flüchtlingspolitik insgesamt. Darum, dass die liberalen Kräfte in Deutschland durch die Grenzöffnung überstrapaziert worden sind. Es gibt einen Rechtsruck ", sagt sie.

"Es ist unglaublich, wie die Kanzlerin wegschaut, sich weigert, dem politischen Islam ins Auge zu sehen und die daraus folgenden Probleme nicht ernst nimmt." Notwendig sei, die Flüchtlingspolitik endlich differenziert zu betrachten. "Wenn ich höre, wie die Kanzlerin sagte, wenn die ihren Koran so gut kennen, müssten wir auch unsere Bibel kennen. Das ist ein völlig falscher Vergleich. Damit wird eine Männerreligion legitimiert. Es geht beim Islam eben nicht nur um Spiritualität, sondern auch um eine Wertevermittlung hinein in die Gesellschaft. Die Kanzlerin unterstützt damit die Argumente der Linken und der Grünen. Durch diese Ignoranz ist das Flüchtlingsproblem entstanden."

Erst der Nachzug der türkischen Frauen und Kinder der Gastarbeiter in den 70er-Jahren habe Parallelgesellschaften möglich gemacht. Anfang der 70er-Jahren habe es 640.000 Türken in Deutschland gegeben, nach zehn Jahren habe sich diese Zahl durch Familienzusammenführung verdoppelt, so die 59-Jährige, die über den Islam im Alltag promoviert hat. So seien die Parallelgesellschaften entstanden.

Auch das System krimineller libanesischer Clans, über das derzeit diskutiert werde, hänge damit zusammen. "Es sind die verlorenen Söhne, weil wir in Deutschland nicht wirklich an der Wertevermittlung gearbeitet haben."

Für Muslime sei jede Kritik eine Beleidigung

Um Parallelgesellschaften zu verhindern, fordert sie, auch als Vorstandsfrau von Terre des Femmes, individuelle Unterstützung der Flüchtlinge, ein Verbot der Kinderehe und Aufklärung der Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet sind, dass sie zur Schule gehen und sich einen Beruf wählen können. "Wir müssen die Werte vermitteln, dass Europa den Einzelnen beschützt, und den Einzelnen aus dem Herrschaftssystem der Männer befreien."

Kelek, sie bezeichnet sich selbst als Feministin, wurde einerseits mit vielen Preisen ausgezeichnet, andererseits auch heftig kritisiert. Argumentation mit "kruden Thesen" oder "Verdammung einer ganzen Religion" ("Der Freitag") wurde ihr vorgeworfen. Sie sei hochpauschalisierend oder sogar eine "Hasspredigerin" ("Die Süddeutsche").

Ich kritisiere nicht pauschal", entgegnet sie. "Ich analysiere das islamische Wertesystem für Muslime. Wenn wir das nicht tun, bewegt sich nichts." Jede Kritik sei für Muslime gleich eine Beleidigung. Aber es gehe im Islam eben nicht nur um den spirituellen Gottesbezug, sondern auch konkret um das Familienrecht als Schariagesetz.

Artikel aus "Welt.de"